• Zeichnen gegen die Repression

    Workshop an der 2. Egypt Comix Week in Kairo 2015

     

    • 2. Egypt Comix Week in Kairo

      Als wir nachts um drei in einem klapprigen Taxi vom Flughafen Richtung Stadt fahren, erleben wir die letzten stillen Minuten. Von da an umgibt uns ständiges Gehupe zu jeder Tages- und Nachtzeit. Alle paar Stunden schallen unterschiedlich schöne Muezzinrufe aus blechernen Lautsprechern, und aus schepprigen Boxen wird laute Musik in die wusligen Strassen geschickt. Alles sitzt draussen, Shisha-rauchend in Cafés, spielend, an staubigen Strassenrändern zum Picknick oder Früchteverkauf. Es wimmelt von Strassenhändlern. Und von Katzen. Laut und gestikulierend unterhalten sich die Menschen. Ein Lächeln wird strahlend erwidert und begleitet von «welcome to Egypt». Wenn ich nicht wüsste, dass Repression das Land beherrscht, dass kritisches Denken und Handeln mit Folter und Verhaftung bestraft wird, ich wähnte mich an einem der lebensfreudigsten Orte der Welt.


      Virtuose Mainstream-Zeichner
      Julia Marti und ich sind eingeladen von der Egypt Comix Week und finanziert von Pro Helvetia, einen Workshop zu geben. Im Medrar, einem Ort für zeitgenössische Kunst, ist unser Kurslokal untergebracht. Der Taxifahrer findet den Ort in Gardencity nicht auf Anhieb. Immer wieder bittet er einen Autolenker neben uns durchs offene Fenster um Auskunft. Wir kommen zu spät, sind jedoch lange nicht die Letzten – es scheint normal zu sein, auf eine Stunde kommt es nicht an. Es sind schöne schlichte Räume einer Villa aus der Kolonialzeit, die Patina angesetzt hat. Helles Neonlicht und nur zwei kleine Tische sind im Zimmer sowie Plastikstühle für alle zwölf Teilnehmer: zehn Männer und nur zwei Frauen. Als Rundum-Unterstützung haben wir Ahmed Omar von der Festivalorganisation;
      eine junge Frau aus Deutschland, Mona Feise, und Amira Alhosainy übersetzen. Schnell wird klar, dass die meisten Workshop-Teilnehmer sehr geübte Zeichner sind und stark beeinflusst vom Mainstream-Comic. Erst mal verwirren sie unsere spielerischen
      Übungen zur Ideenfindung. Es fällt ihnen schwer, still zu zeichnen, und für uns ist es ungewöhnlich, in dieser quirligen Atmosphäre zu unterrichten. Zum Glück findet sich noch ein dritter Tisch, dennoch ist kaum Platz für alle Blätter, manchmal wird auf Knien und auf dem Boden gearbeitet. Wir zeichnen Figuren und kopieren voneinander, setzen kurze Zeitlimiten und verteilen dicke Filzstifte. Für die meisten ist all das Neuland. Am Schluss des ersten Tages wird im Plenum besprochen, was entstanden ist, auch das eine ihnen ungewohnte Praxis. In einem der Räume nebenan sind Arbeiten der jungen Westschweizer Künstlerin Barbara Meule ausgestellt. Wer ihre Installation am diesjährigen Fumetto Comix-Festival in Luzern gesehen hat, weiss, dass sie einen künstlerischen Stil im Umgang mit sequenzieller Bildsprache pflegt. Wir freuen uns über die subversive Nachbarschaft und darüber, dass Festival-Kurator Mohamed El-Baaly sie eingeladen hat. Als ich ihn darauf anspreche, wieso er dieses Festival vor gut zwei Jahren gestartet hat, erklärt der ehemalige Journalist, dass er aus politischen Gründen versuche, diese Kunst in seinem Land zu verbreiten. Anschliessend gehen wir an die Eröffnung einer Ausstellung von ägyptischen Zeichnern. Dort interviewt mich zufällig ein Reporter über meine Arbeit. Eine unserer
      Teilnehmerinnen übersetzt auf Arabisch. Als ich von meiner neusten Comicgeschichte, die von einer jungen lesbischen Frau in Russland handelt, erzähle, übersetzt sie diesen Teil nicht.

    • Graffiti-Zeugen vom Aufstand

      Später legen wir viele Kilometer zu Fuss durch das pulsierende Nachtleben Kairos zurück. Ahmed ist unser ständiger Begleiter und zeigt uns, wie wir die unheimlich dicht befahrenen Strassen ohne Zebrastreifen überqueren können. Wir passieren zum ersten Mal den Tahrirplatz und gehen an langen Mauern mit Graffitikunst aus der jüngsten Revolution vorbei. Er habe nicht mitgesprayt, meint Ahmed, aber natürlich war er als junger Künstler an den Demonstrationen dabei. Er sagt das traurig und schweigt, als wolle er nicht daran erinnert werden.
      Den nächsten Tag verbringen wir wieder mit Schweizer Zeichnungsübungen. Dass wir die Hierarchie von Kursleiterin und Teilnehmer ein Stück weit aufgeben, ist wieder ein Novum, das Anklang findet. Wir beschäftigen uns mit der Entwicklung von Charakteren und Szenen, setzen auf freies Zeichnen mit Pinsel und bestärken die Teilnehmer in ihrer eigenen Ausdrucksweise, im Finden von individuell gestalteten Wesenszügen und von Figuren, die Interpretationsräume offen lassen. Danach stehen Panelübungen auf dem Programm. Von Zeit zu Zeit ruft der Muezzin, und einige unserer Teilnehmer verschwinden ins Nebenzimmer zum Beten, legen einen kleinen Teppich auf den Boden und sind ganz bei sich. Es rührt mich, ich empfinde es als einen intimen Akt und schaue schnell weg. Protest mit Plakaten Die Präsentation unserer eigenen Arbeiten wirft viele Fragen auf und entfacht rege Diskussionen über unsere Berufs- und Gestaltungshaltung. Am Abend bringt uns Ahmed downtown zum befreundeten Künstler Amado Alfadni, der ursprünglich aus dem Sudan stammt. Bei ihm zu Hause trinken wir Bier, was öffentlich nicht erlaubt ist. Er zeigt uns ein Projekt, bei dem er überall in der Stadt und ausserhalb Plakate hingekleistert hat. Auf diesen stand in schönen arabischen Lettern die Aufforderung, unten auf dem leeren Platz zu notieren, was man sich von einem idealen Staat, einem idealen Präsidenten wünschen würde. Dafür wurde er gesucht und sollte er verhaftet werden. Zum Glück war er damals in Deutschland. Später erzählt er mir von den Tagen der Demonstrationen. Auf dem Nachhauseweg waren viele Strassenabschnitte gesperrt. Uniformierte versuchten Menschen gefangen zu nehmen. Ein beherzter Garagist versteckte Amado und einige andere Leute in der Mechanikerluke unter den Autos. Der Garagist stellte sich hin und verbot den Sicherheitsleuten, von seinem privaten Grund Menschen mit zu nehmen. Es kam zum Handgemenge, einige konnten sich retten, so auch Amado. Einige Wochen später treffen sich die beiden Männer zufällig in einem Café. Vor der Szene hatten sie nie ein Wort mit einander gewechselt, sie kannten sich nur vom Sehen. Sie umarmten sich und waren beide froh, am Leben zu sein. Mindestens ein Jahr lang hat er danach einen Bogen um diesen Strassenabschnitt gemacht. Zu den momentanen Wahlen sagt Amado, dass er die Hoffnungen aufgegeben habe. In der Revolution war unglaublich viel positive Kraft und der Glaube, es liesse sich etwas bewegen. Aber auch viel Risiko. Einige seiner Freunde sind seither eingesperrt oder getötet worden. Am letzten Tag des Workshops zeichnen wir gemeinsam Geschichten. Es machen alle mit, auch die Übersetzerin und die Freiwilligen von der Festivalorganisation. Eine ausgelassene fröhliche Stimmung erfasst alle.